Videoverhandlungen im Familienrecht: Eine neue Ära der Rechtsprechung

Die Digitalisierung hat in den letzten Jahren auch vor den Gerichtssälen nicht Halt gemacht. Als Fachanwalt für Familienrecht habe ich diese Entwicklung hautnah miterlebt. Bis 2019 waren Videoverhandlungen in meiner Praxis noch völlig unbekannt. Doch dann kam die Corona-Pandemie und veränderte alles.

Im Herbst 2020 hatte ich meine erste Online-Scheidung. Glücklicherweise hatte ich mir aufgrund der Pandemie eine Kamera für meinen PC besorgt, sodass ich technisch überhaupt daran teilnehmen konnte.

Zu diesem Zeitpunkt las ich zum ersten Mal den § 128a ZPO, den ich vorher nie gebraucht hatte. Interessanterweise war diese gesetzliche Regelung für Videoverhandlungen schon fast zehn Jahre in Kraft, als ich meine erste Online-Verhandlung hatte.

Seit 2020 haben die Gerichte deutschlandweit massiv technisch aufgerüstet, sodass nun viele Verhandlungen online stattfinden. Dies führt zu neuen rechtlichen Fragen bezüglich der Gesetzeskonformität dieser Verfahren.

Rechtliche Herausforderungen bei Videoverhandlungen

Sichtbarkeit aller Beteiligten

Ein Gericht hat entschieden, dass eine Verhandlung nur dann ordnungsgemäß ist, wenn jeder Prozessbeteiligte zu jedem Zeitpunkt alle anderen Prozessbeteiligten digital sehen kann. Ein ungünstiger Kamerawinkel könnte somit zur Unwirksamkeit des Verfahrens führen.

Öffentlichkeit der Verhandlung

Mit einem anderen wichtigen Aspekt hat sich kürzlich der Bundesfinanzhof (BFH) in seiner Entscheidung vom 21.08.2024 (Az. II R 43/22) befasst: der Frage der Öffentlichkeit bei Videoverhandlungen.

Der BFH entschied, dass bei einer hybriden Videoverhandlung die Öffentlichkeit zwar im Sitzungssaal ausgeschlossen werden kann, dies aber in den Räumen, in denen sich die zugeschalteten Parteien befinden, nicht überprüfbar ist. Das Gericht argumentierte, dass dieses Risiko vom Gesetzgeber in Kauf genommen wurde, als er Videoverhandlungen zuließ.

Obwohl diese Entscheidung vom BFH gefällt wurde, gehe ich davon aus, dass sie auch in Familiensachen, die ebenfalls nicht öffentlich sind, ähnlich gehandhabt werden wird.

Besonderheiten im Familienrecht

Es ist wichtig zu betonen, dass nicht alle Familienrechtsverfahren für Videoverhandlungen geeignet sind.

Insbesondere bei Umgangs- und Sorgerechtsverfahren bevorzugen Richter nach wie vor die persönliche Anwesenheit der Eltern im Gerichtssaal. In meiner Praxis habe ich in den letzten Jahren keine Videoverhandlungen in solchen Angelegenheiten erlebt.

Die Entscheidung über die Durchführung einer Videoverhandlung nach § 128a ZPO liegt allein beim Richter. Er kann frei entscheiden, ob er dies gewährt oder nicht.

Fazit

Die Einführung von Videoverhandlungen hat die Rechtsprechung vor neue Herausforderungen gestellt.

Während sie in vielen Bereichen eine praktische Lösung darstellen, müssen wir uns weiterhin mit den rechtlichen Implikationen auseinandersetzen.

Als Familienrechtler bleibe ich gespannt, wie sich diese Entwicklung in Zukunft auf unsere Arbeit auswirken wird.

Videoverhandlungen im Familienrecht: Eine neue Ära der Rechtsprechung was last modified: Januar 12th, 2025 by Ralf Römling

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