Als ich kürzlich einen Artikel über den allgemeinen Rückgang von Zivilprozessen in Deutschland las, stutzte ich. Diese Beobachtung schien nicht mit meinen Erfahrungen im Familienrecht übereinzustimmen. Das veranlasste mich, tiefer in die Materie einzutauchen und die Besonderheiten des Familienrechts im Vergleich zum allgemeinen Zivilrecht zu untersuchen. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Zahl der Zivilverfahren an deutschen Gerichten in den letzten Jahren tatsächlich deutlich zurückgegangen ist: Von 2007 bis 2023 sank die Anzahl der neu eingegangenen Zivilverfahren an Amtsgerichten um fast 39 Prozent, von etwa 1,26 Millionen auf knapp 773.400. Bei den Landgerichten, die für Streitwerte ab 5000 Euro zuständig sind, gab es einen Rückgang von knapp 19 Prozent. Das Familienrecht nimmt jedoch eine Sonderstellung ein. Es ist zwar Teil des Zivilrechts, unterscheidet sich aber in wesentlichen Punkten von anderen zivilrechtlichen Bereichen: Unvermeidbarkeit gerichtlicher Verfahren: Viele familienrechtliche Angelegenheiten, insbesondere Scheidungen, erfordern zwingend ein gerichtliches Verfahren. Emotionale Komponente: Familienrechtliche Streitigkeiten sind oft emotional aufgeladen, was außergerichtliche Einigungen erschweren kann. Kindeswohl: Bei Verfahren, die Kinder betreffen, steht das Kindeswohl im Vordergrund, was oft eine gerichtliche Klärung notwendig macht. Verfahrenskostenhilfe: Im Familienrecht wird häufig Verfahrenskostenhilfe gewährt, was die finanzielle Hürde für Gerichtsverfahren senkt. Um die Entwicklung im Familienrecht besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Statistiken der letzten 20 Jahre: Diese Zahlen zeigen einen interessanten Trend: Während die Zahl der Eheschließungen relativ stabil geblieben ist, ist die Zahl der Scheidungen deutlich zurückgegangen. Die Scheidungsrate sank von 55,9% im Jahr 2003 auf 35,7% im Jahr 2023. Mehrere Faktoren könnten zu dieser Entwicklung beigetragen haben: Höheres Heiratsalter: Das durchschnittliche Alter bei der ersten Eheschließung ist gestiegen. 2023 waren Männer im Schnitt über 35 Jahre und Frauen knapp 33 Jahre alt. Mit höherem Heiratsalter nimmt das Scheidungsrisiko tendenziell ab. Gesellschaftlicher Wandel: Die zunehmende finanzielle Unabhängigkeit von Frauen führt dazu, dass Ehen heute eher aus Liebe und gegenseitigem Respekt geführt werden als aus ökonomischer Notwendigkeit. Bessere Konfliktbewältigung: Paare, die in der Lage sind, Konflikte konstruktiv zu lösen und effektiv zu kommunizieren, haben stabilere Beziehungen. Längere Ehedauer: Die durchschnittliche Ehedauer bis zur Scheidung betrug 2023 14,8 Jahre, was auf stabilere Ehen hindeuten könnte. Obwohl das Familienrecht Teil des Zivilrechts ist, folgt es nicht unbedingt dem allgemeinen Trend rückläufiger Gerichtsverfahren. Die Besonderheiten des Familienrechts, insbesondere die Notwendigkeit gerichtlicher Verfahren bei Scheidungen, sorgen dafür, dass die Zahl der Verfahren hier weniger stark zurückgeht als in anderen Bereichen des Zivilrechts. Dennoch zeigt der Rückgang der Scheidungsrate, dass sich auch im Familienrecht Veränderungen vollziehen. Diese Entwicklung könnte auf eine zunehmende Stabilität von Ehen hindeuten, was langfristig auch zu einem Rückgang familienrechtlicher Verfahren führen könnte. Als Familienrechtler bleibt es spannend, diese Entwicklungen zu beobachten und zu verstehen, wie sich gesellschaftliche Veränderungen auf unser Rechtsgebiet auswirken.Rückgang der Zivilprozesse: Ein allgemeiner Trend
Familienrecht: Eine Sonderstellung im Zivilrecht
Entwicklung von Eheschließungen und Scheidungen
Jahr
Eheschließungen
Ehescheidungen
Scheidungsrate (%)
2003
382.911
213.975
55,9
2013
373.655
169.833
45,5
2023
360.979
129.008
35,7
Mögliche Gründe für den Rückgang der Scheidungsrate
Fazit

Familienrecht: Eine Ausnahme im Trend rückläufiger Zivilprozesse?
Familienrecht: Eine Ausnahme im Trend rückläufiger Zivilprozesse? was last modified: Februar 2nd, 2025 by